A lecture of Prof. Dr. Ulrich Bubenheimer will take place on May 13, 2018. He will present his paper “Thesenanschläge – Karlstadts und Luthers frühe Reformationsdiplomatie” on the Ebernburg, Bad Münster am Stein, at 2:40 pm:
Am Beispiel einiger unbeachteter oder unbekannter Texte, darunter jüngst entdeckte kleine Luther-Autographe, wird in das Phänomen des diplomatischen Agierens der Reformatoren im Zeitraum des Ablassstreits 1517-1520 eingeführt (u. a. Disputationsstrategien, Dialogus des Silvester Prierias; abschwächende Bearbeitung der Asterisci Luthers gegen Ecks Obelisci im Sommer 1518; Verfasser einer anonymen Wittenberger Satire gegen die Bannandrohungsbulle 1520).
Die Wittenberger Theologieprofessoren Andreas Karlstadt und Martin Luther haben im Jahr 1517 die Publikation ihrer auf theologisch-akademische und kirchliche Reformen abzielenden provozierenden Thesenreihen (Karlstadts 152 Thesen gegen scholastische Theologen und Kanonisten; Luthers 95 Thesen über den Ablass) jeweils an Tagen publiziert, an denen im Wittenberger Allerheiligenstift Ablässe in Verbindung mit Reliquienweisungen verkündet wurden, Karlstadt am 26./27.4.1517 zum Reliquienfest an Misericordia domini, Luther am 31.10.1517 zum Ablass um Allerheiligen. Die Wahl dieser Daten lässt sich als Element des diplomatischen Agierens der Professoren interpretieren, deren Thesen implizit auch das von Kurfürst Friedrich dem Weisen ausgebaute Wittenberger Ablasswesen in Frage stellten. Die Thesenreihen werden unter Einbeziehung teils unbeachteter, teils unbekannter Quellen in den Kontext der Rituale sowohl der akademischen Disputationspraxis als auch der Reliquienweisungen und Ablässe am Allerheiligenstift gestellt. An den genannten Festtagen gab der Aushang der Thesenplakate an den Kirchentüren den Lesern Anregung, diese mit der gleichzeitigen Werbung für Ablass und Reliquienweisung in Beziehung zu setzen. Karlstadt lässt seine weitergehenden Reformerwartungen erkennen in seinem Ansinnen, der Kurfürst möge zu einer mehrtägigen Disputation seiner Thesen Personen aus dem Bereich des sächsischen Herzogtums abordnen. Auch Luthers Kritik am Ablass betraf nicht nur die von Johann Tetzel angeführte Ablasskampagne Albrecht von Brandenburgs, des Erzbischofs von Mainz und Magdeburg, sondern implizit auch die Ablassunternehmungen Kurfürst Friedrichs. Die Überlieferung, Luther habe seine Ablassthesen in Wittenberg angeschlagen, ist, soweit sie den physischen Vorgang des Anheftens eines Thesenplakats betrifft, für sich noch kein Produkt der „Monumentalisierung“ Luthers, sondern beinhaltet den historischen Kern einer meta-physischen Deutung des Thesenanschlags, die als Reflex auf die überwältigende Wirkung der Ablassthesen schon früh einsetzte und 1534 im Titelholzschnitt der ersten Gesamtausgabe von Luthers Bibelübersetzung in Szene gesetzt wurde.